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Am 5. März 2022 bin ich erstmals mit Medikamenten in die Ukraine gefahren. Auf dem Rückweg wurden mir in Lviv eine junge Großmutter, ihre 2 Töchter und deren kleine Kinder mitgegeben. Die beiden blutjungen Ehemänner gaben mir zum Abschied die Hand und baten mich, gut auf ihre Frauen aufzupassen. Ich fragte sie, wohin sie gingen. "In den Krieg!" Auf meine Frage: "Warum?" sagte der eine: „Weil unser Land sonst aufhört zu existieren!“ Der andere nickte. Da dachte ich: "Ihr müsst alles haben, um Euer Land zu verteidigen! Ihr habt diesen Krieg nicht verursacht, nicht gesucht – Ihr habt ein so unfassbar schweres Schicksal. Ihr müsst alles haben, um Euer Land zu verteidigen."
Tausende von Toten später, tausende von brutalsten Morden und barbarischen Verbrechen später, tobt der Krieg immer weiter. Und ich bin verzweifelt, weil ein Ende so gar nicht absehbar scheint! Und nicht nur ich, sondern ganz viele Menschen wünschen sich jeden Tag mehr, dass er endlich enden möge, dieser scheiß Krieg! Und die Stimmen selbsternannter Friedensbringer*innen werden lauter und selbstbewußter. „Krieg oder Frieden“ plakatiert das BSW - alle Achtung! Und dann wird Orban EU-Ratspräsident – und macht sich auf. Und während er sich ohne Mandat sich zum Friedensbereiter in China aufspielt, nachdem er zuvor in Kyiv und Moskau war, bombardiert Putin schon wieder ein Krankenhaus in der Ukraine – dieses Mal das größte Kinderkrankenhaus des Landes in Kyiv. Es ist furchtbar traurig und unbeschreiblich grausam. Wie sehr sehnen wir uns nach Bildern der Kommunikation, hoffend, dass dieser zynische Mistkerl aus Ungarn Erfolg haben möge. „Gott sei dank, sie reden!“ möchte man denken. Viele schöpfen Hoffnung, dass doch etwas geht. Wir wollen es doch unbedingt! Wir wollen es für die Ukraine – und ja, auch für uns. Und ist es für die Kinder nicht besser, in Unfreiheit aufzuwachsen, aber zu leben? Und wenn Russland dann halt die Ukraine hat, ist es nicht doch besser als dieses langsame Sterben?
Niemand sollte solche Gedanken leichtfertig verdammen. Wir müssen sie meiner Meinung nach denken und abwägen – ohne zu vergessen, dass es Sache der Ukraine und der Ukrainer*innen ist, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen! Sie wurde ohne Grund überfallen und haben jedes Recht, sich zu wehren. Und dafür jede erdenkliche Hilfe zu bekommen. Ich vergesse sie nicht, die beiden jungen Soldaten! Und am Ende, nach jedem Anfall von Verzweiflung, Müdigkeit und Resignation, nach jeder Bewegung von Hoffnung, Optimismus und Produktivität, komme ich wieder zu dem selben Schluß: man überfällt kein Land, man entführt nicht massenhaft Kinder, man spricht einer Nation und einem Volk nicht das Existenzrecht, nicht die Kultur, nicht die Identität ab, man bezeichnet Juden nicht als Nazis! Und man bombardiert keine Kinderkrankenhäuser, wenn man vermeintlich "legitime Sicherheitsinteressen wahren will"!
Viktor Orban hat in den letzten zwei Jahren nichts getan, um als glaubwürdiger Vermittler aufzutreten, er hat nicht in der EU um dieses Mandat gerungen, sondern es an sich gerissen. Er spielt sein eigenes Spiel! Und hat die Ukraine dabei gar nicht im Blick, sonst würde er es anders angehen. Er benutzt die Situation für sich, so wie er die EU immer wieder für sich und seine Interessen benutzt. Deshalb, lieber Bodo Ramelow: "Nein, ich bin überzeugt, dass das ein Fake ist! Dass Orban nicht hilft, sondern schadet! Ich bin bei Annalena Baerbock, Katrin Göring-Eckardt und Serhiy Zhadan. So sehr ich es mir und so viele es sich anders wünschen würden: Putin wird die Ukraine plattmachen, die Männer schlachten, die Kinder und Frauen versklaven, egal, was er – diplomatisch – sagt. So, wie Athen die Melier vor 2500 Jahren ("Die Athener richteten alle erwachsenen Melier hin, soweit sie in ihre Hand fielen, die Frauen und Kinder verkauften sie in die Sklaverei. Den Ort gründeten sie selber neu, indem sie später 500 attische Bürger dort ansiedelten."). Sonst würde er nicht so barbarisch agieren, während er Modi stolz seine Zuchthengste zeigt! Und Orban weiß das – er will einfach auch zum andern Club gehören, ohne dabei auf die EU zu verzichten. Er schadet dem Frieden, der nur – und davon bin ich überzeugt – aus Stärke und Klarheit erwachsen kann.
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